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02.05.2024 | Automatisierung | Im Fokus | Online-Artikel

Warum der Begriff Industrie 5.0 umstritten ist

verfasst von: Mathias Keiber

4 Min. Lesedauer

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Bedarf es des Begriffs Industrie 5.0? Ist er vielleicht sogar irreführend und könnte Unternehmen und Kooperationen in der Umsetzung der Industrie 4.0 gefährden? Zwei Vereinigungen sehen das so.

13 Jahre ist der Begriff Industrie 4.0 inzwischen alt. Erfunden wurde er vom ehemaligen SAP-Vorstandssprecher Henning Kagermann, dem früheren CEO des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, Wolfgang Wahlster, und Wolf-Dieter Lukas, Abteilungsleiter und später Staatssekretär im Bundesforschungsministerium. Die Öffentlichkeit hörte von der Industrie 4.0 zum ersten Mal auf der Hannover Messe 2011. Zum Ausdruck bringen sollte der Begriff die Notwendigkeit, eine vierte industrielle Revolution einzuleiten – nach der Wasser- und Dampfkraft, der Massenfertigung mithilfe von Fließbändern und elektrischer Energie sowie dem Einsatz von Elektronik und Informationstechnik. Infolgedessen hat sich der Begriff etabliert, die Industrie 4.0 findet statt.

Mittlerweile jedoch macht ein neuer, daran angelehnter Begriff die Runde, die sogenannte Industrie 5.0. Birgit Vogel-Heuser und Klaus Bengler von der Technischen Universität München begründen ihn damit, dass die industrielle Automatisierung vor einem Paradigmenwechsel hin zu einem stärker kollaborativen und menschenzentrierten Ansatz stehe. Laut den zwei Professoren sind menschliche Fähigkeiten auch in Zukunft zentral. Konkret: das Anlernen von Robotern durch menschliches Vormachen, die Entwicklung von Geschäftsmodellen nach dem Prinzip Production-as-a-Service, die Entwicklung von agilen Fertigungsumgebungen, die Planung komplexer Produktionsumgebungen sowie die Kooperation von Wissenschaft und Industrie.

Kritik am Begriff Industrie 5.0

Auf Gegenliebe stößt der Begriff jedoch nur bedingt. Der Forschungsbeirat Industrie 4.0 und die Plattform Industrie 4.0 sahen sich jüngst, zu Beginn der Hannover Messe 2024, sogar zu einer kritischen Stellungnahme im Umgang mit dem Begriff Industrie 5.0 veranlasst. Darin heißt es: Das industrielle Leitbild, das die Industrie 4.0 vermittle, sei weiterhin hochaktuell. Die Verwendung des Begriffs Industrie 5.0 sei leichtfertig und unnötig. Er bringe keine neuen Inhalte zum Ausdruck. Mehr noch:  Er stifte Verunsicherung. Industrie 4.0 umfasse bereits alle gesellschaftlichen Bereiche – und damit auch die Menschenzentriertheit.

Ein weiterer Kritikpunkt: Der Begriff Industrie 4.0 stehe für die vierte industrielle Revolution, die wie alle vorhergegangenen Revolutionen eine lange Zeitspanne bis zur vollständigen Umsetzung benötigen. Das schließe den Einsatz von neuen Technologien und Wertschöpfungsmodellen unter Einbeziehung der beteiligten Menschen mit ein. Das softwaretypische Kürzel 4.0 stehe symbolisch für die Bedeutung von Software in diesem Prozess, sollte aber nicht als Versionszählung verstanden und durch 5.0 ersetzt werden.

„Begriff Industrie 5.0 verwirrt und verunsichert“

„Die vierte industrielle Revolution – also Industrie 4.0 – umfasst eine Vielzahl von Aspekten“, erklärt Peter Liggesmeyer vom Fraunhofer IESE, außerdem Sprecher der Wissenschaft im Forschungsbeirat Industrie 4.0. „Die Inhalte, die derzeit als Industrie 5.0 diskutiert werden, sind darin vollständig enthalten. Es besteht daher die Gefahr, dass der unnötige Begriff zu Verwirrung führt.“

Harald Schöning, Vice President Research der Software AG und Sprecher der Industrie im Forschungsbeirat Industrie 4.0, erwidert das: „Die Bedeutung von Industrie 4.0 ist mittlerweile auch kleineren und mittelgroßen Unternehmen bewusst.“ Auch dort habe die Umsetzung begonnen. Diese Unternehmen würden mit der Nennung des Begriffs Industrie 5.0 verwirrt und verunsichert. „Es darf nicht dazu kommen, dass sie dadurch auf ihrem Weg hin zu Industrie 4.0 an Schwung verlieren.“

Industrie 4.0 noch nicht abgeschlossen

Derweil erklären der Forschungsbeirat Industrie 4.0 und die Plattform Industrie 4.0 in ihrer Stellungnahme auch, dass der Wunsch, eine möglichst für den Menschen optimale Gestaltung von Arbeitsprozessen einhergehend mit einer bestmöglichen Unterstützung in den neuen Produktionsprozessen nicht zu kritisieren sei. Nur bedürfe es dafür eben keines neuen Begriffs. Letztendlich sei die Industrie 4.0 auch alles andere als abgeschlossen. Unternehmen und internationalen Kooperationen befänden sich mitten in der Umsetzung.

Von der Hand zu weisen ist die Ansicht von Forschungsbeirat Industrie 4.0 und Plattform Industrie 4.0 nicht. Dennoch könnte der Begriff Industrie 5.0 den Begriff Industrie 4.0 ablösen. In politischen Kreisen ist er längst etabliert, wie ein bereits über drei Jahre altes Dokument der Europäischen Kommission mit dem Titel „Industry 5.0: Towards a Sustainable, Human-centric, and Resilient European Industry“ beweist. Darin heißt es: Die Vision für die Zukunft der europäischen Industrie unter dem Namen Industrie 5.0 ergänze das bestehende Konzept der Industrie 4.0, indem sie über die Ziele von Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen hinaus auch gesellschaftliche Ziele wie das Wohlergehen der Arbeitnehmer und die planetaren Grenzen im Sinne der Nachhaltigkeit respektiere und in den Mittelpunkt des Produktionsprozesses stelle.

Letztendlich geht es in dem Streit wohl um eine Begrifflichkeit. Ob auch künftig noch von Industrie 4.0 die Rede sein wird, oder ob sich die Industrie bereits in einer fünften Revolution befindet, wird die Zeit zeigen.

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